Die Deutschen schreiben und lesen wieder! Ja ist es denn zu fassen, der Deutschen liebstes Gut und h?chster Wert erfuhr dieses Jahr eine beispiellose Renaissance. Wer nun allerdings glaubt, diese Nation h?tte sich mit Dichterf?rsten, Philosophie und Klassikern befa?t, der wird derbe entt?uscht. „An meinem 27. Geburtstag hielt ich ein ganz besonderes Geschenk in der Hand: Meinen ersten Pornoschwanz.“ So m?ssen heutzutage B?cher beginnen, um Einzug in deutsche Wohnzimmerschr?nke zu halten! Goethe, Schiller, Hesse und wie sie alle hei?en, es sei Euch post mortem eines gesagt: „Bebende Busen“ und „brennendes Verlangen“ sind heute abgemeldet, wenn sie nicht gerade in Gina Wild’s Biographie stehen.
Viele haben es der mittlerweile b?rgerlichen Michaela Schaffrath nachgetan. -Mit mehr oder weniger erfolgreichen Schaffenswerken versteht sich. Zu nennen w?ren da vor allem Susanne Juhnke, Ingrid Steeger, Dieter Bohlen, Naddel, Daniel K?blb?ck, Stefan Effenberg, Alexander Superstar, der Gitarrist von Thomas Anders, Verona Feldbusch und schlie?lich Bum-Bum Boris Becker. Den kurzweiligen Unterhaltungswert dieser „Literatur“ mag ich gar nicht anzweifeln, sind diese Niederschriften doch meist recht… nun, mindestens am?sant. Allerdings haben sie alle eines gemeinsam: Sie bewegen sich allsamt zwischen geistiger Inkontinenz und mentaler Masturbation, gehen sie doch nie ?ber eine Aneinanderreihung von spielerisch-leicht erz?hlten Pl?nkeleien und Schw?nke hinaus. Damit bewegen sie sich selten ?ber die schriftstellerische Qualit?t von ?rzteromanen hinaus, aber bitte, wem das reicht der m?ge damit gl?cklich werden.
Woraus sch?pft eigentlich die vorliegende Arroganz, zu glauben, da? alle Welt an subjektiv wiedergegebenen Ergeinissen aus den ?berschneidungen der Leben von M?chtegern-Sonnenk?nigen interessiert ist? Wen interessiert der 13te Selbstmordversuch von Ingrid Steeger, der 34ste Entzug von Pappa Juhnke, die Alkoholikerin-Mutter von Bayern-Psycho K?blb?ck, und das erste Barthaar von Alexander? Oder nehmen wir das Hause Bohlen: Was, wenn sich Naddel, Verona und der Didder gemeinsam hingesetzt h?tten, und ein gigantisch triangul?ses Netz aus Darstellungen und Gegendarstellungen gesponnen h?tten, nur um gemeinsam richtig Kasse zu machen? Sind sie auch alle nicht die hellsten, eines k?nnen sie: rechnen! Und so zahlt es sich sicher aus, wenn man sich fachkr?ftige Unterst?tzung in Person einer Autorin besorgt, um dann die Welt mit unter dem Strich absolut nichtssagenden Geschichtchen zu bel?stigen. Die Bestsellerlisten sprachen da jedenfalls eine eindeutige Sprache, auch wenn die Herrschaften selbst in puncto Schreiben eher schwach auf der Brust sind. Da ergeht es ihren sogar schlechter wie der zweiten Gruppe von Jung-Autoren, n?mlich jenen, die den ganzen Tag die Tasten ihres Handys qu?len, nur um sich in Schriftform und ihren Freunden mitzuteilen. St?ndig haben sie sich was zu erz?hlen, und kommen dabei auf die tollsten Ideen, wie das Erlebte am besten in 160 Zeichen zu verpacken ist. Da bleibt die ein oder andere Abk?rzung und Verkr?ppelung nicht aus, soda? sich sogar Deutschlehrer heute mit einer Sprachmutation der ganz eigenen Art auseinandersetzen m?ssen. Daf?r wissen die Kids aber auch schon beim Schreiben in einer Klassenarbeit, wieviele Worte sie fabriziert haben – wir mu?ten da fr?her noch nachz?hlen. Viel schlimmer dagegen ist, da? so manch einer in einer realen Konversation gar kein Lachen mehr herausbringt, sondern nur noch sternchen-grins-sternchen oder LOL sagen m?chte… Aber zur?ck zum Thema!
Mal im Ernst: Wenn es Dieter Bohlen auf Platz 1 der Spiegel-Bestseller schafft, wie arm dran ist dann diese Welt? Ist es das, womit wir zuk?nftig immer rechnen werden m?ssen, da? jemand auf einem seiner karrierem??igen H?henfl?ge dann unbedingt ein Buch schreiben mu?? Oder am Ende seiner Karriere, nur damit man im Gespr?ch bleibt, auf Glamour-Parties eingeladen wird und dann sein Bild in der Bunten gedruckt findet? Vielleicht sollte ich auch ein Buch schreiben! Im Prinzip t?te ich nichts anderes als unsere Promis auch: Ich schreibe ein Buch ?ber Leute, die die Leser gar nicht wirklich kennen. Kennen k?nnen, um genau zu sein.
Wenn ein Buch dann gut l?uft, gehen die Herrschaften f?r ein paar Tage ins Studio und nehmen ein H?rbuch auf, um der illiteraten Masse Rechnung zu tragen und diesen Markt auch noch abzusch?pfen. Denn wer zu faul oder zu bl?d zum Lesen ist, der kann sich dann wenigstens mit dem Ohr am Lautsprecher das anh?ren, wor?ber die Bildzeitung seit Tagen schreibt und woran sich die Nation spaltet. Jaja, die Deutschen lesen eben wieder. Eigentlich ein gutes Zeichen, w?re da nicht der Mix aus Autor und Inhalt. Anstelle im Sinne der Pisa-Studie etwas f?r die Bildung zu tun, verbringen wir unsere literarische Freizeit mit Toilettenlekt?re von Bohlen und Co.
Und so geht kein Weg daran vorbei, da? am morgigen Weihnachtsabend unz?hlige dieser „Meisterleistungen“ entweder als Buch oder H?rbuch ihren Weg unter den Christbaum finden werden. Kling Gl?ckchen? -Nee, dann lieber total besoffen durch’s Weihnachtsfest.