Der beste Tag bisher: Über Nacht hat es 20-40cm Neuschnee gegeben, Powder auf fast allen Pisten, der Himmel reißt noch während des Frühstücks auf und die Sonne küsst das frisch eingepuderte Sölden. Zum ersten Mal seit wir hier sind, hat es Temperaturen unter dem Gefrierpunkt, auf 3000m messen die Sensoren -12 Grad bei 50km/h Wind. Das dürften gefühlte -20 sein, und was das ohne entsprechende Schutzmaßnahmen bedeuten kann, das habe ich die Tage schon an meinen Ohren getestet: Nach weiß kommt irgendwann wohl schwarz, wenn man keine netten Mitmenschen um sich hat, die einen auf die drohende Erfrierung hinweisen. Nun denn, auf auf den Hang hinauf!
Oben dann ein Traumtag, Sonne, blauer Himmel, Powder. Schnelles Mittagessen, keine Zeit verlieren, bevor es sich das Wetter anders überlegt. Schließlich wollen wir es für so einen Traumtag gut sein lassen, wedeln über eine von Söldens zahlreichen komplett zerfurchten Pisten gen Talabfahrt. Schwer ist es, bei derart desolaten Pisten den Parallelschwung zu pflegen, nach einigen Metern heißt das Motto tageszeitentsprechend nur noch „runterkommen“. Fluchend geht es talwärts, die Ski brechen immerwieder aus der idealtypischen Formation aus, die Knie schlucken plötzlich auftauchende Buckel wie Stoßdämpfer. Dann ein Steilstück, ich quäle mich über die ersten Meter, dann eine Eisplatte, keine kleine. Die Kanten schneiden das Eis, suchen Halt, den sie an dieser Stelle nicht bekommen können, zu steil ist es. Dann das Gewicht minimal falsch verlagerrt, der Bergski ist schneller als der Talski, rutscht auf ihn, blockiert ihn, verkeilt ihn, ich falle aus dem letzen Schwung nach hinten, aber die Ski stehen fest auf der Piste, sodass ich den vollen Drehmoment auf mein rechtes Knie ausübe. Noch im Fallen schreie ich aus Reflex so, dass selbst die letzte Gams es mitbekommen musste, die Schmerzen erreichen das Gehirn direkt und ohne Umwege. Ich versuche nur noch, irgendwie zum Liegen zu kommen und meine Ski zu sortieren, aber es ist vergeblich, das Knie sendet nur noch Schmerz und nimmt keinen Befehl mehr an. Jan ist als erster da, macht mir die Bindung auf. Warum ist das Scheißteil heute nicht aufgegangen? Nachdem die Beine wieder nebeneinander liegen, die Fußspitzen beide nach oben zeigen, ist für einen kleinen Moment wieder alles in Ordnung. Wird schon wieder gehen. Ich schnall die Ski wieder an, höllische Schmerzen im Knie, egal, ich bin in den letzten 23 Jahren noch jeden Berg in jeder Situation runtergekommen. Keine Zeit für Memmen! Genau 2 Schwünge bekomme ich hin, beim Dritten wird mir wieder schwarz vor Augen, der Schmerz lässt mein Knie einknicken wie eine aufgeweichte Grissini. Mein Zimmernachbar im Krankenhaus wird dies später mit „so you were playing Superman, huh?“ kommentieren. 10 min später klammere ich mich auf einem Skidoo fest, der Macker heizt wie blöde zur Gondelstation, und alles, was ich denken kann ist, dass mich die zwei Kilo Skischuh bei jedem Buckel und jeder Bodenwelle, die der Skidoo unsanft an seine Fahrer weitergibt, noch das Bein kosten werden, so sehr habe ich Mühe, die rechte untere Extremität auf der Fußraste zu halten. Ab da geht alles routiniert: Auf der Liege bekomme ich eine Sonderfahrt in der Gondel, vorbei an 1000 wartenden Skifahrern, unten wartet bereits die Rettung. Das zumindest sagt mir Johann, der nette Mann von der Bergrettung, dessen Lesebrille zwar ihren Namen nicht verdient hat, der sich aber alle Mühe gibt, mir Mut zu machen. Im Bagatellisieren ist er aber kein Held, denn: „Die meisten, die so g’fallen sin wie du, siehgst zwoa Doag speda scho wieder mit’n Krückchen drunten im Ort.“ Danke Johann, DAS war die Info, die mir noch fehlte! Es folgt Röntgen und eine MRT in einer schnieken, brandneuen Privatklinik. Keine Sorge, zahlt alles die Auslandskranken Plus. Und so lasse ich mich rundrum durchchecken. Die MRT ist der Höhepunkt des Abends: Die nette Schwester bietet mir zwar Kopfhörer mit Musik an, weil das Teil „scho arg laut is“, doch Bono und U2 schaffen es nicht wirklich, das technische Meisterwerk von Siemens Medical zu überlagern. Warum nur heißt diese Röhre „Harmony“? Während der zwanzig Minuten, in der ich in diesem Teil liege und mein wummerndes Knie nicht bewegen darf, stampft ein wundervoll gleichmäßiger Rhythmus unter mir, während dieses Teil die unterschiedlichsten Fehlgeräusche von sich gibt. Früher nannten wir sowas Noise und hörten das in der Disco. Auch diese 20min gingen rum, ich danke der Schwester für U2 auf den Ohren – hätte ja auch schlimmer kommen können. Der Befund hingegen konnte dann kaum schlimmer ausfallen: vorderes Kreuzband gerissen, inneres Seitenband abgerissen, Miniskus durch Quetschung verletzt.
Am nächsten Tag wird gleich operiert, ich finde mich im Imster Outlet dieser Superklinik pünktlich ein. Alles geht ruckzuck, routiniert möchte man denken: Hemdchen an, Trombose-Stockings, Laberlaber mit der Anästhesistin, die Wahl fällt auf Vollnarkose. „So, jetzt wird Ihnen etwas schwindelig“… 21… 22… 23… „N?…. naja, vielleicht doch….. sie verlieren mich gleich“ und ich bin weg. Als ich aufwache, ist alles vorbei, 24 gefühlte Kilo Verband dekorieren mein Knie. Der Full-Service Approach des Hauses schließt eine post-narkotische Flädle-Suppe und Skiwasser galore ein. Noch nie hat eine Suppe so gut geschmeckt! Sie packen mich auf ein Zimmer, reichen mir Mineralwasser, die Fernbedienung, eine Speisekarte und einen Laptop mit WLAN. Privatpatient sein, was kann es schöneres geben? [To-Do für daheim: Endlich Einkommensgrenze für Privatversicherung überschreiten!] Ich entscheide mich für einen Steak-Sandwich nach Schluchti-Art, also mit Pfifferlingen, Speck und Zwiebeln. Eigentlich hege ich keine allzu hohen Erwartungen, dass das Essen gut sein könnte, und wenn es tausendmal vom Restaurant von gegenüber und nicht aus einer ollen Kantine kommt. Aber ich liege mal wieder falsch: Zartestes Beef, perfekt medium, und rubbeldiekatz ist der ganze Teller verschwunden. Über Nacht fressen mich die aufkommende Schmerzen, reißen mich aus dem Schlaf. Und das soll je wieder gut werden? Auch wenn die Behandlung extrem deluxe ist, wird das noch ein gehöriges Stück Arbeit werden, soviel ist sicher.
Die Nachtschwester hatte zwar mein Schmerzmittel für die Nacht vergessen, mich aber voher noch über den Umfang des Frühstücks aufzuklären. Von allem etwas, ein bunter Strauß voller guter Laune für einen guten Start in den ersten postoperativen Tag.
Wie ich später erfahre, kostet die OP schlappe 6500 Euretten, dazu Untersuchungen, Bilder, MRT – und nicht das deluxe Essen samt edler Unterkunft und Topservice zu vergessen. Und das alles für 8 Euro Jahresgebühr…