Manchmal sind es die kleinen Triumphe, die das Leben vers??en. Drei Jahre war ich nicht beim Zahnarzt, aber nicht etwa aus Angst oder so. Es hat sich schlicht nicht wirklich ergeben, da? ich mal so viel planerische Sicherheit hatte, mir einen von diesen „in-einem-Vierteljahr-h?tte-ich-noch-was-frei“ Terminen geben zu lassen. Auch das obligatorische „Sollen wir gleich einen Termin f?r in einem halben Jahr vereinbaren?“ verhallt immer recht resonanzlos. Also war ich heute mal endlich wieder bei meinem ungeliebten Zahnarzt. Warum ungeliebt? Ganz einfach, ich finde den Mann nunmal einen geldgeilen Metzger! Er ist immer so z?rtlich bei der Sache wie eine Abri?birne. Und seit er nur noch Privatpatienten behandelt, seh ich immer die Dollars in seinen Augen, wenn er mir die Hand gibt. Aber was soll’s, seine Dentalhygienikerinnen haben es nunmal ziemlich drauf. (Die hei?en ?brigens wirklich so, nicht zu verwechseln mit Zahnarzthelferinnen! -Das verh?lt sich bei denen eben gerade nicht wie bei den Fleischereifachverk?uferinnen.)
Ich nehme also nach drei Jahren Platz und werde prompt gefragt, warum ich denn soooooo lange nicht mehr da war. Ich de-eskaliere die Situation, indem ich erz?hle, da? eine Freundin von mir Probanden f?r Ihre Dentalhygienikerinnenabschlu?pr?fung gebraucht hat, und da? ich dann irgendwann nochmal bei dem Vater eines Freundes zur Untersuchung war. Das sei aber auch schon wieder fast zwei Jahre her und es tue mir ausgesprochen leid. F?r mich nat?rlich, aber auch f?r sie, da sich ja sicher einiges angesammelt h?tte. Rhetorisch perfekt schlie?e ich meine Verteidigung mit einer positiven Aussage, n?mlich, da? ich ja mit dem Rauchen aufgeh?rt h?tte. -Das war der erste wahre Satz in meinem spontan komplett zusammengelogenen Pl?doyer. Ich habe die gr??te M?he, nicht laut loszulachen, so bescheuert komme ich mir grad selber vor: Sitzt der Mann mit 27 beim Zahnarzt und l?gt sich einen vom Leder wie so ein kleiner Schuljunge, der nach Erkl?rungen ringt, warum er seinen Turnbeutel vergessen hat. (Damals mu?te daf?r ja immer die Mutter herhalten, wenn man nicht gerade Schl?sselkind war…)
Ich mache also das beste draus und nehme mir vor, sie ein wenig zu testen und frage sie w?hrend der Behandlung immerwieder nach dem Stand der Dinge. Und siehe da: Alles bestens. „Sieht sehr gut aus bei Ihnen“ und „naja, war ja doch nicht so schlimm“. Na bitte, wer sagts denn?! Alles paletti. -Ich habs ja gewu?t!
Jetzt mu? ich aber doch auch noch meinen anderen Gedanken aufschreiben. Der kam mir, als ich bei der Zahnreinigung so da lag und die Frau mich immerwieder fast in den Wahnsinn trieb, indem sie das Schleifwerkzeug einen Tick zu tief zwischen die Z?hne schob oder mir bald schlecht wurde, als sie mir an den Waisheitsz?hnen wurschtelte, und sich der Ton aber sowas von linea recta auf mein Geh?r ?bertrug, da? mir der Schwei? ausbrach. Da hab ich mir gedacht, da? wir Menschen doch verdammt armselige Gesch?pfe sind. Da liegen wir so da, Angst kann man das gar nicht mal nennen, v?llig erstarrt weil verkrampft, und im Grunde sind wir da so richtig, richtig wehrlos. Unf?hig, uns zu wehren, weil wir es einerseits endlos blamabel finden, zu weicheiern oder uns gar durch eine reflexartige Reaktion auf den Schmerz danebenzubenehmen. Dabei w?re das doch das Nat?rlichste f?r uns, einigerma?en laut zu pl?rren, um uns zu schlagen und auf den Verursacher unserer Pein loszugehen. Tun wir aber nicht. Wir sind lieber wehrlos, daf?r aber in Sicherheit. Komisch, da? uns dieser Augenblick in der Erkenntnis, das alles wohl sicher zu ?berleben, wenn wir jetzt gerade nicht reagieren, all unsere eigentlichen angebrachten Verhaltensweisen zu verdr?ngen vermag. Das ist fast ein bi?chen wie mit der Demokratie.
Oh ha! Vielleicht sollte ich an diesem Gedanken weiterarbeiten… oder ihn meiner Schwester weiterreichen. Die ist berufsm??ig eine bessere Anthropologin.