Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erz?hlen. Genau, er kann, mu? aber nicht. Ich will hier niemanden mit einem truely half-assed Bericht von meiner v?llig unbedeutsamen Reise nach Boston langweilen, sondern nur eben ein paar kleine Anekdoten runtertippen, die ich mir in den Staaten aufgeschrieben habe und mangels PC und Internet nicht vor Ort schon in die Welt br?llen konnte.
Endzeit
Wer sich je gefragt hat, woher Filmemacher und Autoren ihre Endzeitszenarien haben, der kann noch keinen Bustransfer zwischen den Terminals auf London Heathrow mitgemacht haben! Ich glaube wirklich, da? ich noch an keinem Ort gewesen bin, der lebensfeindlicher war als das Wirrwar der Cargotunnel und Gep?ckkatakomben. Eine sofortige Depression st?lpt sich ?ber einen, wenn man im Bus zwischen verschwitzten Achselh?hlen ihrer schweigenden Besitzer durch die get?nten und mit Millionen von Fingerabdr?cken verzierten Scheiben nach drau?en sieht, und die Augen nicht von dieser schier unglaublichen Menge in Beton gegossenen Zivilisationswahnsinns lassen k?nnen und gleichsam fasziniert wie angewidert daran h?ngenbleiben.
Wie ein Ameisenhaufen offenbart sich sich das ganze Ausma? der Leistung eines Flughafenbetriebes erst unter Tage, wo Arbeiter, die wohl selten das Sonnenlicht zu sehen bekommen, emsig der T?tigkeit nachgehen, von der wir nichts mitbekommen, au?er vielleicht, unser Gep?ck kommt mal nicht richtig an. Dann ist es bei Collin und Yogesh, die in den schmalen Zufahrten ihre Kofferwagen erst rangiert und dann kollidiert haben, beim Wiederbeladen mit vereinten Kr?ften vielleicht auf dem falschen Wagen wieder auf die Reise gegangen und sammelt Meilen, die keinem Vielfliegerkonto jemals gutgeschrieben werden k?nnen.
The American way
Je ?lter man wird, desto mehr Flunkereien der Eltern aus der Kindheit entlarvt man pl?tzlich als solche. Da? ich daf?r aber erst nach Boston, respektive Amerika, fahren mu?, h?tte ich wahrlich nicht gedacht.
„Wenn du deinen Teller nicht leeri?t, gibt es morgen schlechtes Wetter!“ (Als Kind glaubst du sowas!) -Nun, das kann eigentlich nur in Europa gelten, nicht jedoch in den Staaten. Bei den Portionen? -Keine Chance. Selbst Vielfra?e wie ich kommen da in die Verlegenheit, anderen den n?chsten Tag quasi vorsetzlich zu versauen. Aber es geht einfach nicht, was die dort auf die Teller packen! Egal ob in einem Lunchroom oder einem Diner, selbst beim Thail?nder ist es zuviel. Einerseits wundert es da nicht, da? so viele Amis so brutal fett sind (es ist echt so, ich h?tte ein ganzes GB Fotos von fetten Leuten mitbringen k?nnen!). Mich wundert vor allem, warum da die Kundschaft nicht meutert und sagt „hey, packt hier bitte eine Menge Essen auf meinen Teller, die ich essen kann und berechnet das auch so“. Anstelle vergeht einem beim Lesen der Karte schon meist der Appetit, wenn man die Preise sieht, und steht dann der Teller auf dem Tisch nervt die Bedienung ungelogen alle paar Minuten, ob es schmeckt, ob ich noch Durst habe (wie denn bittesch?n, wenn ich einen 10 Liter Eimer Cola hingestellt bekomme??), ob „you guys ok“ sind, uns schlie?lich, ob sie uns nochwas bringen kann, also ob wir „set“ sind. Verneint man diese Frage oder ist irgendwie indifferent, sagt also sowas wie ‚sp?ter vielleicht‘, trabt sie weg und bringt stattdessen die Rechnung. Klarer Fall von „no tip“. Ist gemein, ich wei?, aber genug ist genug.
?berhaupt sind die Amis echt ma?los. Jeder Honk f?hrt da mindestens 6 Zylinder, besser 8, und wenn es nur 4 sind, steht Turbo oder Twin Turbo hinten drauf. Klar, wenn der Sprit so billig ist… Aber dann sollen sie wenigstens auch damit parken k?nnen. K?nnen sie nicht, also gibt es riesige Parkpl?tze. -Das ist seltsame Logik.
Geht noch weiter: Weil sie ihre Cola nicht k?hlen, mu? ein Kilo Eis ins Glas. Weil Eis aber die subversive Eigenschaft hat, zu schmelzen und die andere Fl?ssigkeit auf diesem Wege erheblich zu verd?nnen, tun sie mehr Zucker als hier in die braune Brause.
Ma?los, kein anderes Wort hatte ich ?fter auf der Zunge und wollte es allen dauernd ins Gesicht schreien. ?ber Klimaanlagen und Energieprobleme sage ich nur: Ich war froh, auf dem Weg zur Tagung im Anzug zu schwitzen, denn daf?r hab ich w?hrend der Vortr?ge nur ganz wenig frieren m?ssen…
Konventionen?
Am Morgen des zweiten Konferenztages begr??t uns der Vorsitzende mit den Worten „Good morning everybody! How nice: you all found your way back from the hookers!“
Der fliegende Holl?nder
Ich habe gerade in meinem World Traveller Plus Sitz platzgenommen, da frage ich mich auch schon, warum diese irre gut aussehende Bombshell-Flugbegleiterin mit so einem h??lichen, d?rren Honk, der eine unterirdische Brille und eine viel zu kurze Anzughose tr?gt, plaudert, als wollten die beiden jeden Moment die Besenkammer aufsuchen. Es gibt daruf nur eine Antwort: Das ist ihr Job!
F?nf Minuten sp?ter identifiziert sich der Honk als waschechter Holl?nder, dem der Sitzplatz neben mir geh?rt, und die Stewardess als in Wahrheit leider extrem schiefzahnige Britin. Was mich an meiner Konversation mit dem Holl?nder, die selbstverst?ndlich stattfand (schlie?lich ist es kein 40 Minuten Inlandsflug!), immernoch stolz macht, ist, da? ich ihm nicht wie sonst bei Holl?ndern ?blich, auf die Nase gebunden habe, da? ich in Maastricht studiert habe und darum auch gerne mit ihm auf Niederl?ndisch plaudern k?nnte. 7 Stunden habe ich diesen Mann neben mir ertragen, und das war echt nicht einfach. Nach dem Amsterdamer Boulevardblatt zappte er erst v?llig planlos durch die 16 Videokan?le, um dann beim Info-Programm h?ngen zu bleiben und in unlesbarer Schrift anfing, Notizen zu machen. Nach dem Essen und einigen erfolglosen Versuchen, mit mir einen philisophischen Plausch zu beginnen („Will we remove our limits in research and science ourselves or will this happen automatically over time?“ oder auch: „Why is it that women smile more often than men?“), packte er seinen Laptop aus und begann einen Brief, offensichtlich an seine Lebensgef?hrtin. Unterdessen hatte ich von ihm erfahren, da? er ein Senior Researcher in seiner Firma ist, die k?rzlich verkauft wurde, er deswegen dauernd nach Boston mu? und vieles andere mehr. Darunter auch das Detail, da? er ja nur in dieser Maschine sitze, weil bei seinem ersten Versuch, am gestrigen Tage Boston zu verlassen, das Fahrwerk der Northwest-Airlines Maschine beim Ausparken zusammengebrochen ist. (Ich habe die Story jetzt mal auf das Wesentliche reduziert, was ich mir auch von ihm gew?nscht h?tte…) Er begann also seinen Brief an seine Frau, den ich hier und da versehentlich mitlas. Wenn ein Mann einer Frau schreibt, und dann dauernd Zahlen tippt, handelt es sich entweder um eine Rechnung, eine Scheidung (was auch auf Rechnung hinausl?uft), oder aber um einen Wissenschaftler oder Control-Freak, der daran glaubt, der Gegen?ber findet bestimmte Sachverhalte genauso spannend wie man selbst. Unser vielfliegender Holl?nder schreibt ihr also von Neufundland, 12 km H?he, 900 km/h und der Tatsache, da? er sich gar nicht recht vorstellen kann, da? es drau?en Minus 55 Grad sind. Beinahe h?tte ich ihm noch zur Lekt?re des Bordmagazins geraten, dann h?tte er noch dabeischreiben k?nnen, da? eine 747-400 schlappe 15000 Liter Kerosin pro Stunde durchzieht. Stattdessen hat er lieber die Zeit beim Start gemessen, 1 Minute 5 Sekunden, und er trumpft vergleichend auf, da? eine kleine 737-200 nur 45 Sekunden bis zum Take-off beschleunigt. Diskussion zwecklos, er ist schlie?lich Vielflieger. Und Holl?nder.
Giovanni aus Hongkong
Nach der k?rzesten Nacht (minus 6 Stunden) und dem wenigsten Schlaf in einer Nacht (30 Minuten… netto) sa? ich schlie?lich in dem kleinen (wahrscheinlich ?hnlich schnellstartenden) Airbus 320 von London zur?ck nach K?ln neben Giovanni. Er hatte sich gleich um Kontakt bem?ht, kein ?berfl?ssiges Warten. Ich klemmte die Streichh?lzer zwischen die Lider und bem?hte mich um freundliche, nichtssagende Konversation. Er komme gerade aus Hongkong, mache in Textilien, und er habe dort Gesch?fte geschlossen und Bestellungen get?tigt. Stolz berichtet er, ?brigens Mitte/Ende 30, Typ schmieriger Sizilianer, in ungef?lschtem Armani und echter Uhr, mit katastrophalem Mundgeruch und ranzigem Gel in den Haaren, im Geldbeutel jedoch nur die besten Karten, von seiner Industrie und dem Gesch?ft in toto. Er habe ja schon selbst in Portugal und Rum?nien Fabriken gehabt, aber damit k?nne man ja schon viele Jahre nichts mehr verdienen. Darum China. Die arbeiteten da 12 Stunden am Tag, sechseinhalb Tage die Woche f?r 120 Euro im Monat, was wolle man schlie?lich mehr? Und nach China, was kommt dann? „Nix mehr, bleibt China“, meint Giovanni und ist m?chtig stolz darauf, mir Tips zu geben, wie man in China am besten die Bev?lkerung ausbeuten kann, denn „die wollen ja wenigstens noch arbeiten! F?r jeden Lohn machen die das! Von mir aus auch 200 Euro in 5 Jahren. Keine Gewerkschaft, keine Krankheiten, keine Lohnnebenkosten. -Am T-Shirt kann man das hinterher schlie?lich nicht sehen, verstehen sie?“